Auf ein Wort

Autismus und Überforderung im hochfunktionalen Spektrum

Gerade wir Autisten im hochfunktionalen Spektrum kennen das Problem - wir funktionieren gut. Wir funktionieren in der Regel sogar so gut, dass unser Umfeld aus allen Wolken fällt, sobald wir einmal doch nicht so funktionieren, wie es von uns erwartet wurde. Ob Ihr uns in diesen Situationen unterstützen könnt, und wie diese Unterstützung aussehen könnte, möchte ich mit diesem Beitrag erörtern.

Was passiert also bei unseren Mitmenschen, wenn wir nicht funktionieren oder nicht so reagieren, wie es von uns erwartet wird? Offenbar ist es für die Menschen in unserem näheren Umfeld sehr schwer, sich spontan auf die plötzlich andere Begebenheit einzustellen. Durch die Seltenheit unserer Nicht-Funktionalität ist es für sie wohl nicht so leicht abrufbar, dass wir durchaus mit Defiziten zu kämpfen haben - dass wir Autisten sind.

Einerseits ist es Ihnen auch nicht zu verdenken, funktioniere ich doch so gut, dass ich regelmäßig selbst von meinem eigenen Autismus "überrascht" und von jetzt auf gleich aus meiner Funktionalität gerissen werde.

Andererseits ist es für uns enorm wichtig, gerade in diesen Zeiten verstanden oder zumindest akzeptiert zu werden. Denn nur durch dieses Verständnis können wir genügend Sicherheit erlangen, um darauf zu Vertrauen, dass auch nach unserem Nicht-Funktionieren noch immer alles in Ordnung ist.

Bitte bedenkt dabei immer eines und seid euch darüber im Klaren, dass wir nicht aus Trotz oder Unwillen so reagieren, wie wir reagieren - egal, wie wenig nachvollziehbar oder unlogisch es für euch erscheint. Die Frage des bewussten Handelns stellt sich uns in diesen Situationen nicht. Wir handeln oder reagieren so, weil wir von Reizen überflutet werden und in diesen Momenten eben nicht genug Puffer vorhanden ist, um diese, uns überwältigenden Eindrücke verarbeiten zu können.

In diesen Momenten reagieren wir, wie jeder andere Autist im Spektrum ebenfalls reagieren würde. Manche von uns explodieren emotional (Meltdown), andere schotten sich komplett ab und sind für diese Zeit nicht oder nur kaum ansprechbar (Shutdown). Oftmals wechseln sich diese Phasen auch ab und nach einem erschöpfenden Meltdown folgt ein noch heftigerer Shutdown.

Aber noch einmal in aller Deutlichkeit. Wir machen das nicht, um etwas Bestimmtes zu erreichen oder aus bewussten Beweggründen. Glaubt mir. Für uns sind diese Phasen noch viel schlimmer zu ertragen, als für euch.

Ich persönlich habe glücklicherweise nur sehr selten einen tatsächlichen Meltdown. Ich mag in meinen nicht-funktionalen Phasen durchaus gereizter erscheinen und habe auch weniger Kontrolle über meine Stimmlage, aber richtige Ausbrüche bleiben zumeist aus. Vielmehr wechsle ich ich bei einer starken Überforderung (Overload) direkt in einen Shutdown, was auch meine Wahrnehmung sehr stark beeinträchtigt. Alle meine Sinne fühlen sich dabei an, als wären sie in Watte gepackt und nur wenige Informationen dringen bewusst zu mir durch. Auch das Fassen von konkreten Gedanken oder das Führen von Konversationen ist in diesen Phasen sehr schwierig, bis unmöglich.

Was aber könnt ihr für uns in diesen Phasen tun?

Aktiv sicherlich nur sehr wenig, passiv dafür umso mehr. Versucht also bitte nicht, uns in diesen Phasen gut zuzureden oder noch schlimmer, den Sachverhalt zu relativieren. Bitte verzichtet auch darauf, die Situation sofort ergründen oder darüber diskutieren zu wollen - dafür ist später noch genügend Zeit! Wir stehen bereits mit dem Rücken zur Wand - macht es also nicht noch schlimmer für uns.

Auch wenn es schwer fällt, lasst es in diesen Situationen einfach gut sein. Gebt uns ein wenig Zeit, damit wir uns auf die Situation einstellen können und die Informationen neu zu sortieren. Ihr müsst dazu auch nicht gehen - oftmals wollen wir gar nicht alleine gelassen werden. Gebt uns einfach das Gefühl, dass alles in Ordnung ist und wartet ab, bis wir wieder auf euch zugehen. Ihr werdet euch wundern, wie schnell wir dann wieder auf der Höhe sein können.

Oftmals sind es aber auch gar keine großen Ausbrüche oder Shutdowns, die uns den Umgang mit anderen Menschen erschweren. Manchmal haben wir auch in funktionalen Phasen Probleme in bestimmten Situationen sozialer Interaktion. Es müssen auch nicht jedes Mal die gleichen Situationen sein - es kommt immer auf die individuellen Gegebenheiten an. Reagieren wir also einmal nicht so, wie ihr es von uns erwarten würdet (weil ihr es von jedem anderen Nicht-Autisten ebenfalls so erwarten würdet), dann versucht euch ins Bewusstsein zu rufen, dass wir gerade in der sozialen Interaktion unsere größten Probleme haben. Sprecht uns einfach direkt (nicht Tage oder Wochen später) darauf an und werdet dabei nicht emotional oder wertend. Dann löst sich das Missverständnis meist von selbst.

Mit diesem Beitrag möchte ich euch, liebe Leser, eine Möglichkeit bieten, wie Ihr uns besser verstehen könnt und wie Ihr uns in unseren autistischen Phasen besser begegnen könnt.

Der Beitrag richtet sich aber mitnichten rein an die Personen in unserem Umfeld. Vielmehr richtet er sich auch an uns selbst, um uns in unseren nicht-funktionalen Phasen zu verdeutlichen, dass es völlig in Ordnung ist, nicht in Ordnung zu sein. In den Phasen, in denen uns unser Autismus wieder einmal selbst überrascht hat und das Gewicht der Welt auf unseren Schultern lastet.

Harte Worte aus einfachem Grund

Aus diesem Grund sind mir auch vor Kurzem ein paar - vermutlich harte - Worte zu dieser doch sehr komplexen Thematik in den Sinn gekommen. Ich möchte damit niemanden vor den Kopf stoßen, aber oftmals bringen überspitzt formulierte Aussagen einen tieferen Einblick in komplexe Sachverhalte, da sie zum Nachdenken anregen.

Wer mich als "Rainman"* nicht zu schätzen weiß, der hat mich auch als Thomas nicht verdient.

Klar - ich funktioniere gut. Fast schon zu gut, um meinem Umfeld klarzumachen, dass dies keinesfalls dem Normalzustand entspricht. Denn die Fähigkeit zur Kompensation ist zwar ein Segen, aber nicht immer gewährleistet - der Autismus aber bleibt.

Ich brauche also Menschen in meinem Leben, die nicht nur mit dem funktionierenden "normalen" Thomas klar kommen. Nein - vor allem brauche ich Menschen, die sich nicht abwenden, wenn ich ihnen tatsächlich einmal als Autist begegne.
Menschen, die mich in diesen Situationen ernst nehmen und nicht anfangen zu relativieren oder es als Jammern abtun.
Menschen, die sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen, um mich wirklich verstehen zu können und Verständnis nicht nur vorgeben.
Menschen, die hinter die Fassade der Funktionalität blicken wollen - Menschen, die mich wirklich kennen.
Alle anderen kosten einfach zu viel Energie - und davon brauche ich für den Alltag schon genug, als sie unbedacht zu vergeuden.


* Rainman, der wohl bekannteste Film über einen Autisten. Natürlich kein Material, um ein adäquates Bild eines Autisten zu zeichnen, aber populär genug, um es als Sinnbild für meine nicht-funktionale Seite zu verwenden.

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